Das jüdische Museum Berlin (JMB) stellt derzeit die Arbeiten jüdischer KünstlerInnen aus, die in der Zeit von 1905–1940 in Paris arbeiteten. Die Ausstellung„Paris Magnétique“ läuft bis zum 1. Mai 2023.
Das Museum in der Lindenstraße in Kreuzberg wurde 2001 eröffnet. Seit 2020 leitet es die Kuratorin Hetty Berg. Auf dem Museumsplan sieht man, dass Barockpalais (ehemaliges Kollegienhaus) und Libeskind–Neubau im Untergeschoss miteinander verbunden sind. Neben dem Neubau steht der Holocaustturm.
Paris an der Wende zum 20. Jahrhundert
Der lange Frieden nach dem deutsch-französischen Krieg führte zur Belle Époque, dem schönen Zeitalter. Die Industrialisierung brachte enormen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Georges Haussmann gestaltete die Stadt um. Mit breiten Boulevards, neuen Stadtpalästen, der Opéra Garnier und der Metro wurde Paris zu einer multikulturellen Kulturmetropole mit fast 3 Millionen Menschen. Mehrere Weltausstellungen brachten zahlreiche Besucher in die Stadt. Im Jahr 1889 präsentierte man den Eiffelturm als höchsten Turm der Welt.
Die moderne Pariser Schule (École de Paris)
Viele Kreative und Intellektuelle zog es nach Paris. Sie arbeiteten in Atelierhäusern, die sich meist in den günstigeren Außenbezirken wie Montmartre und Montparnasse befanden. In Montmartre gibt es immer noch das Bateau-Lavoir, indem Picasso mit seinem Hund Frika fünf Jahre lebte. Im la Ruche (Bienenkorb) in Montparnasse wohnten u.a. Marc Chagall, Amedeo Modigliani, Chaim Soutine und Moise Kisling. Ihr Stammlokal war das Café du Dôme an der Ecke Rue Campagne-Première – heute ein Fischrestaurant.
Einige studierten an der renommierten Kunstakademie (École des beaux-arts (ENSBA)) in Saint-Germain-des-Prés. Die meisten privat an der Académie Matisse in der Rue de Sèvres, der Académie Julian in Montmartre oder an den Akademien Colarossi und Grande-Chaumière in Montparnasse. Im Pariser Salon fanden regelmäßig Ausstellungen statt, wo die Werke der ENSBA-Schüler und – seit 1897 auch – Schülerinnen ausgestellt wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts meist in den Kunststilen Realismus und Historismus, später auch impressionistische und Art Nouveau-Werke. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die „moderne Kunst“ (Fauvismus und Kubismus), deren Künstler anfangs als les Fauves („wilde Bestien“) kritisiert wurden. Da ihre Werke im Pariser Salon meist abgelehnt wurden, halfen ihnen Förderer dabei, das sie sie im Pariser Herbstsalon (Salon d’automne) oder bei der Vereinigung unabhängiger Künstler (Salon des indépendants) ausstellen konnten. Der erste Weltkrieg spaltete die künstlerische Avantgarde. Einige flohen aus Frankreich, viele kämpften an der jeweiligen Heimatfront oder harrten in Paris aus. Nach Kriegsende entwickelte sich in den „wilden Zwanzigern“ eine surrealistische (unwirkliche, traumhafte) Bewegung, in der sich viele Frauen emanzipierten. Im nächsten Weltkrieg wurde Paris im Sommer 1940 von deutschen Nationalsozialisten besetzt. Einigen KünstlerInnen gelang die Flucht nach New York. Viele wurden deportiert und ermordet.
Jüdische KünstlerInnen der modernen Pariser Schule
Marc Chagall (Expressionist) war ein jüdischer Künstler aus Witebsk (Belarus). 1910 kam er mit 23 Jahren nach Paris und mietete sich ein Atelier in der Nähe des Gare Montparnasse. Ein Jahr später zog er in die Künstlerkolonie La Ruche und lebte dort vier Jahre. Chagall reiste 1914 nach Russland und blieb vorerst dort, nur 1923 war er mit Familie in Paris und schuf einige Illustrationen für den Verleger Ambroise Vollard. Im zweiten Weltkrieg flüchtete er nach New York und kam erst im Mai 1946 wieder nach Paris.
Wladimir Dawidowitsch Baranov-Rossiné war ein jüdischer Künstler aus Bolschaja Lipaticha (Ukraine). Auch er kam mit 23 Jahren nach Paris und wohnte von 1910 - bis 1914 in der La Ruche. Nach einer Rückkehr nach Russland emigrierte er 1925 erneut nach Frankreich, wurde 1943 von der Gestapo verhaftet und ein Jahr später im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet.
Alice Halicka (Kubistin) war eine jüdische Künstlerin aus Krakau (Polen). Sie kam mit 18 Jahren nach Paris und studierte 1912 an der Académie Ranson und bei Fernand Cormon. Ein Jahr später heiratete sie Louis Marcoussis. Während der im ersten Weltkrieg in der französischen Armee diente, flüchtete sie in die Normandie. Nach dem zweiten Weltkrieg kehrte sie nach Paris zurück.
Marija Bronislawowna Worobjowa-Stebelskaja (Marevna) war eine Kubistin aus Tscheboksary (Russland). Mit 20 Jahren kam sie nach Paris und lernte 1912 die Künstlergruppe in La Ruche kennen. Drei Jahre später verliebte sie sich in Diego Rivera und brachte 1919 ihre uneheliche Tochter Marika zur Welt. Nach dessen Tod ging sie ein Verhältnis mit Chaim Soutine ein.
Amedeo Modigliani war ein jüdischer Maler aus Livorno (Italien). 1906 kam er mit 22 Jahren nach Paris. Er wohnte zunächst im Bateau-Lavoir in Montmartre und nahm Unterricht an der Académie Colarossi. 1909 lernte er Constantin Brâncuși kennen und arbeitete bei ihm in der Cité Falguière in Montparnasse als Bildhauer. Bei Kriegsbeginn meldete er sich zwar freiwillig, wurde jedoch ausgemustert. 1915 zog er wieder nach Montmartre in die Rue Norvaine, wo er sich wieder der Malerei widmete. 1918 flüchtete er vor den deutschen Truppen nach Cagnes-sur-Mer und Nizza. Nach Kriegsende kehrte er im Mai 1919 nach Paris zurück und starb ein Jahr später an Tuberkulose.
Léon Indenbaum war ein jüdischer Künstler aus Chavusy (Weißrussland). 1911 kam er mit 21 Jahren nach La Ruche in Paris. Er überlebte beide Kriege und starb 1981 in Opio in Frankreich.
Chaim Soutine war ein jüdischer Künstler aus Smilawitschy (Belarus). Er kam mit 20 Jahren nach Paris und zog 1913 zu seinem Freund Pinchas Krémègne ins La Ruche, wo er 5 Jahre lebte. 1918 fuhr er mit Modigliani nach Südfrankreich und lebte etwa 3 Jahre in Céret in den Pyrenäen. Sieben Jahre später zog er wieder nach Paris. Die Sommermonate verbrachte er bis 1935 auf einem Landschloss in der Nähe von Chartres. Ab Juli 1940 versteckte er sich in Dörfern außerhalb von Paris. 1943 starb er an einen Magendurchbruch und wurde auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt.
Moise Kisling war ein jüdischer Künstler aus Krakau(Polen). Mit 19 Jahren kam er 1910 nach Paris, wo er in La Ruche verkehrte. Er meldete sich 1914 freiwillig bei der französischen Fremdenlegion und wurde in der Somme-Schlacht schwer verwundet. Nach der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg floh er in die USA.
Georges Kars war ein jüdischer Künstler aus Kralupy (Tschechien), der mit 28 Jahren 1908 nach Paris kam. Im ersten Weltkrieg ging er nach Belgien, kehrte 1939 kurz nach Paris zurück, floh nach Lyon und landete 1942 bei seiner Schwester in der Schweiz. Drei Jahre später stürzte er sich in Genf aus dem 5. Stock eines Hotels.
„Paris Magnétique“ – Die Pariser Bohème hat geliebt, gelitten und gefeiert 🙂
KünstlerInnen der modernen Pariser Schule von der Jahrhundertwende bis zum zweiten Weltkrieg in der Zeit von 1884 bis 1940 ( jüdisch, nicht-jüdisch)